EuGH entscheidet in der Sache „Córdoba/Fotograf Renckhoff"
Urheberrecht
Ein Foto zum Lernen in der Schule
Warum die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Córdoba/Fotograf Renckhoff“ ein unglückliches Signal sendet
Der EuGH hat aufgrund einer Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) am 07.08.2018 (Az. C-161/17) geurteilt, dass die Zugänglichmachung eines Fotos im Rahmen einer Schülerpräsentation auf der Homepage der Schule zum Zwecke der pädagogischen Veranschaulichung eine öffentliche Wiedergabe des Lichtbildes darstellt.
Fotografien sind als Lichtbilder oder Lichtbildwerke nach § 2 Absatz 1 Nr. 5 und § 72 Urhebergesetz (UrhG) urheberrechtlich geschützt. Daher hatte sich der deutsche Reisefotograf Dirk Renckhoff bei Gericht beschwert, als ein von ihm für ein Reisemagazin freigegebenes Foto der spanischen Stadt Córdoba in einem online veröffentlichten Schülerreferat einer Schule in Nordrhein-Westphalen auftauchte. Die Sache ging bis zum BGH, der mit seinem Beschluss vom 23. Februar 2017 (Az. I ZR 267/15) die Sache mit folgender Fragestellung dem EuGH vorlegte:
„Stellt die Einfügung eines, auf einer fremden Internetseite mit Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers, für alle Internetnutzer frei zugänglichen Werkes in eine eigene öffentlich zugängliche Internetseite ein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2001/29/EG dar, wenn das Werk zunächst auf einen Server kopiert und von dort auf die eigene Internetseite hochgeladen wird?“
„Selbstverständlich JA!“ hätte die sofortige Antwort lauten müssen, die sich der BGH hier ohne Weiteres selbst hätte geben müssen. Denn das Urheberrecht kommt, wenn es konsequent und im Sinne des Gesetzgebers angewendet wird, ab und zu mit recht einfachen Formeln und Schlussfolgerungen aus: Vorliegend handelte es sich um den klassischen Fall der Zugänglichmachung einer angefertigten digitalen Bilderkopie.
Warum der BGH trotzdem die Notwendigkeit einer Vorlage sah, erschließt sich nicht, wäre da nicht die vorausgegangene Hyperlink-Rechtsprechung des EuGH, die seit der Entscheidung „Bestwater“ aus 2014 (Urteil vom 21.10.2014, Az. C-348/13) gerade keine Urheberhaftung für das sogenannte „Embedding“, also Einfügen von auf Plattformen Dritter gehosteten Contents im Wege des Framing-Abspielens vorsieht.
Offenbar durch diese EU-Rechtsprechung verunsichert, wollte der BGH wissen, ob es denn nun einen Unterschied zwischen dem Framing durch eingebaute Hyperlinks auf Dritte und dem „copy-and-paste“ mit entsprechend eigenem Hosting eines zuvor bereits bei dritten Webseiten freigegebenen Contents gäbe. Der EuGH urteilte jetzt: Ja, diesen Unterschied gibt es. Denn der Kopierende erschließe durch das eigene Hosting, anders als bei bloßer Verlinkung, welche der reinen „Funktionalität“ des Internets diene, ein neues Publikum. Mit dem Begriff der „dem Internet dienenden Funktion“ von Verlinkungen driftet der EuGH in seiner Vorlageentscheidung zunehmend in eine von verunsicherten nationalen Gerichten provozierte reine Wertungskasuistik des Urheberrechts ab, die angesichts recht klarer Kodifizierungen unnötig ist.
Denn, dass die Zugänglichmachung eines von Fremden kopierten und sodann eigens gehosteten Contents zunächst einmal eine öffentliche Wiedergabe ohne Haftungsprivileg ist, sollte eigentlich ziemlich klar sein. War es dem BGH aber nicht. Nachdem der EuGH nun vergangene Woche ein Votum für eine öffentliche Wiedergabe abgegeben hat, mag zwar die Verunsicherung des BGH geschwunden sein, die des werknutzenden Bürgers ist aber - zumindest im Umfeld von Bildungseinrichtungen - um ein Vielfaches größer geworden.
Denn seit ein paar Tagen sind die Zeitungen voll von Berichten, die der Sache nicht gerecht werden: „Erst Fragen, dann kopieren!“ lautet die Aufforderung für Schüler. „EuGH stärkt das Recht von Fotografen!“ oder „Keine Ausnahme bei Referaten: Urheberrecht gilt auch für Schüler!“ Solche Berichte greifen nicht nur zu kurz. Sie sind auch geeignet, die erst jüngst überarbeitete Privilegierung des Schulgebrauchs durch Urheberrechtsschranken zugunsten der Bildung (wir berichteten) zu unterminieren.
Im vorliegenden Fall hatte eine Schülerin ein Bild aus dem Netz kopiert, um dieses zitatweise als Beispiel in einem von ihr im Rahmen der Bearbeitung des staatlich angeordneten Unterrichtsstoffs angefertigten Schülerreferats einzufügen. Harmlos, möchte man zunächst meinen. Doch zusätzlich hatte sich die Schule erlaubt, das Referat zur Veranschaulichung des Unterrichtsstoffs und der Qualität der Schülerarbeiten an der Schule im Netz auf der Schulhomepage live zu stellen. Genau hieran stieß sich Fotograf Renckhoff und verklagte den Träger der Schule, das Land Nordrhein-Westphalen.
Es darf erstaunen, warum weder BGH noch EuGH zumindest in einem obiter dictum auf die urheberrechtlichen Schranken zum Schulgebrauch hingewiesen haben. Statt sich nur an dem Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne der EU-Richtlinie 2001/29 aufzuhalten, hätten die Richter wegen des Schulkontextes auch direkt darauf eingehen müssen. Die Protagonisten des freien Zugangs zu Werken rufen immer wieder nach einer Ausdehnung der im US-amerikanischen Recht vorgesehenen „fair-use“-Doktrin zur Eindämmung eines zu starken Exklusivrechts im Werkschutz. Warum in die Ferne schauen, liegt das Gute doch so nah. Denn die Urheberschranken sind letztlich nichts anderes als Konkretisierungen eines Fair Use. Freilich hat sich das Bildungsprivileg im Urheberrecht durch die Wissenschaftsreform vom 01.03.2018 wesentlich geändert. Nach der Schranke des § 60a Absatz 2 UrhG in Verbindung mit § 60a Absatz 1 Nr. 3 UrhG dürfen nun Abbildungen oder Werke geringen Umfangs vollständig, das heißt nicht lediglich ausschnittsweise, öffentlich zugänglich gemacht werden, soweit dies der Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an der Schule in nicht kommerzieller Weise dient. Im vergangenen Jahr hätte der BGH noch auf die zulässige öffentliche Widergabe nach § 52 UrhG (alter Fassung) eingehen sollen. Scheiterte die Schranke für die Zugänglichmachung im Netz immer an dem Erfordernis des begrenzten Personenkreises? Oder genügte es der Schranke, wenn sich die Website der Schule erkennbar nur an interessierte Eltern und Schüler richtete?
Die Neufassung des § 60a UrhG stellt darauf nicht mehr ab, sondern es kommt auf die Zweckbestimmung der „Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre“ an.
So bleibt zu hoffen, dass der BGH jetzt zugunsten des Schulprivilegs entscheidet.