DSM-Richtlinie der EU ohne Upload-Filter beschlossen

Europarecht/Urheberrecht

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“Ohne Filter, aber nach Treu und Glauben bitte!”
Die umstrittenen Upload-Filter in der DSM-Richtlinie sind vom Tisch, die Wirrungen bleiben vorerst

Selten ging es im EU-Parlament zum Urheberrecht so hin und her wie in diesem Sommer (wir berichteten). Nun hat das Parlament am Mittwoch, den 12.09.2018 eine stark abgeänderte Fassung des Richtlinienentwurfs zum Digital Single Market (DSM) durchgewunken. Der auch in der Öffentlichkeit viel diskutierte Artikel zu den Filtertechniken für Content-Plattformen wie YouTube, Instagram oder Facebook ist dabei grundlegend geändert worden. Die alte Fassung von Artikel 13 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags wollte Folgendes:

Diensteanbieter der Informationsgesellschaft, die große Mengen der von ihren Nutzern hochgeladenen Werke und sonstigen Schutzgegenstände in Absprache mit den Rechteinhabern speichern oder öffentlich zugänglich machen, ergreifen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die mit den Rechteinhabern geschlossenen Vereinbarungen, die die Nutzung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände regeln, oder die die Zugänglichkeit der von den Rechteinhabern genannten Werke oder Schutzgegenstände über ihre Dienste untersagen , eingehalten werden. Diese Maßnahmen wie beispielsweise wirksame Inhaltserkennungstechniken müssen geeignet und angemessen sein. Die Diensteanbieter müssen gegenüber den Rechteinhabern in angemessener Weise darlegen, wie die Maßnahmen funktionieren und eingesetzt werden und ihnen gegebenenfalls über die Erkennung und Nutzung ihrer Werke und sonstigen Schutzgegenstände Bericht erstatten.

Von den Inhaltserkennungstechniken ist nun keine Rede mehr. Die final abgestimmte Fassung geht einen weicheren Weg. Dessen Wirksamkeit für eine Reformierung des Lizenzmarktes wird sich noch zeigen müssen. Die ursprüngliche Regelungsmotivation von Artikel 13 Absatz 1 schlägt sich nun in den neuen Absätzen 1, 2 und 2a von Artikel 13 nieder:

1. Unbeschadet Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG führen Anbieter von Online-Inhaltsweitergabediensten eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe durch. Sie haben deshalb faire und angemessene Lizenzvereinbarungen mit den Rechtsinhabern zu schließen.

2. Die von Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten mit den Rechtsinhabern über die in Absatz 1 genannten Handlungen der Wiedergabe geschlossene Lizenzvereinbarungen erstrecken sich nach Maßgabe der darin festgelegten Bedingungen auf die Haftung für von Nutzern dieser Dienste hochgeladene Werke, sofern diese Nutzer nicht für gewerbliche Zwecke handeln.

2a.   Die Mitgliedstaaten haben für den Fall, dass Rechtsinhaber keine Lizenzvereinbarungen schließen wollen, eine Zusammenarbeit nach Treu und Glauben zwischen den Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten und den Rechtsinhabern vorzusehen, damit geschützte Werke oder sonstige Schutzgegenstände, für deren Nutzung keine Zustimmung erteilt wurde, bei diesen Diensten nicht verfügbar sind. Die Zusammenarbeit zwischen den Anbietern von Online-Inhaltsweitergabediensten und den Rechtsinhabern darf nicht dazu führen, dass Werke oder sonstige Schutzgegenstände, bei denen kein Verstoß gegen das Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht vorliegt, darunter auch jene, die einer Ausnahme oder Beschränkung unterliegen, nicht verfügbar sind.

Unschwer lässt sich erkennen, dass die neue Regelung an Komplexität weiter zugenommen hat. Gesetzgebung soll grundsätzlich leicht verständlich, praktikabel und umsetzbar sein. Richtlinienentwürfe, die zwischen verschiedenen Interessengruppen und Gremien der EU-Institutionen hin- und hergeschaukelt werden, stoßen regelmäßig an die Grenzen dieses Gebotes. Die Urheberharmonisierung in der EU wirkt inzwischen verwinkelter kodifiziert als manch nationalstaatliche Steuergesetzgebung. Widmen wir uns aber den wesentlichen Inhaltsänderungen von Artikel 13:

Da der finale Entwurf die sogenannten „Inhaltserkennungstechniken“ - dies war im alten Entwurf das Synonym für den umgangssprachlichen Begriff der Upload-Filter - nun völlig ausblendet, ist zum Zwecke der Beruhigung beteiligter Kreise eine weiche Treu und Glauben-Formel eingeführt worden (siehe Artikel 13 Absatz 2a Satz 1). Gefordert wird in der Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten nun eine Zusammenarbeit nach Treu und Glauben zwischen den Anbietern und den Rechtsinhabern. In der Praxis könnte dies Folgendes bedeuten: Ein Musikproduzent namens Frank Peterson möchte nicht, dass Werke, an denen er Rechte hält, bei YouTube verfügbar sind. Wir erinnern uns daran, dass sich Herr Peterson dazu bereits seit fast 10 Jahren durch die Zivilgerichtsinstanzen kämpft (dazu weiter unten). Nun bedarf es in Zukunft einer „Treu und Glauben“-Zusammenarbeit zwischen ihm und YouTube, damit die Nutzung auch wirklich unterbleibt. Doch wer macht hier den ersten Schritt, wer bleibt beweispflichtig und wie hebt sich dieses Treu und Glauben-Konzept von der längst etablierten Störerhaftung ab? Diese Fragen gilt es bei der Umsetzung zu klären.

Hinzu kommt, dass der neue Absatz 1 klarstellt, dass die Streaming-Anbieter unbeschadet des Artikel 3 der InfoSoc-Richtlinie (Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EU) auf das Urheberrecht der öffentlichen Wiedergabe haften und daher zu lizenzieren haben. Soll nun der Treu und Glauben Ansatz des Absatzes 2a diese Lizenzierungspflicht durch die Hintertür wieder aufweichen?

Nach bisherigem nationalstaatlichen Recht ist es so, dass derjenige, der urheberrechtlich haftet, entweder lizenzieren muss oder, tut er es nicht, auf Unterlassung und im Falle der Sorgfaltspflichtverletzung auch auf Schadensersatz haftet, § 97 UrhG.

Zukünftig könnte dies bei Plattformen nach dem Gedanken des neuen Artikel 13 DSM-Richtlinie etwas anders aussehen. Weiterhin muss derjenige, der haftet, lizensieren (Absatz 1). Gelingt dies jedoch nicht, weil der Urheber vielleicht einfach nicht will (dazu genügt ja bereits, dass ihm die wirtschaftlichen Vergütungen oder die Transparenz der Abrechnung im Vertragsvorschlag der Plattform nicht reichen), dann soll ein Anspruch auf Unterbleiben der Nutzung zunächst einen Treu und Glauben-Filter durchlaufen (Absatz 2a Satz 1)?

Erwähnenswert ist auch, dass sich nach dem finalen Absatz 2 von Artikel 13 die zukünftigen Lizenzen zwischen Plattformen und Rechteinhabern nicht auf die „gewerblich“ gesteuerten Uploads beziehen sollen. Die Motivation dieser Änderung liegt offenbar darin die Haftung und Direktlizenzierung zwischen kommerziellen Kanal-Betreibern auf YouTube oder vergleichbaren Plattformen und Rechteinhabern zu fördern. Voraussetzung dafür ist freilich die Erkennbarkeit solcher gewerblichen Anbieter, die regelmäßig nur dann gewährleistet ist, wenn der Kanal unter eigener Marke betrieben wird. Ist dies der Fall, so muss die Plattform sich diese Nutzungen in Zukunft offenbar lizenzrechtlich nicht ans Bein binden. 

Es darf bei all diesen brandaktuellen Änderungen des Richtlinienentwurfs nicht verwundern, dass der BGH nur einen Tag nach der Beschlussfassung des EU-Parlaments im Fall Frank Peterson gegen YouTube eine Vorlage an den EuGH geschickt hat (Beschluss vom 13.09.2018, Az.: I ZR 140/15). Mit einem durchaus geschickt gewählten Fragenkanon nähert sich der BGH in seinem Beschluss der Überlegung, ab wann bei User-Generated-Content (UGC) Plattformen, hier YouTube, eine direkte Haftung auf das Recht der öffentlichen Wiedergabe greift und ob diese Haftung für die Frage der Schadensersatzpflicht ggf. nach Schuldelementen, insbesondere Vorsatz, abzustufen wäre.

Spannend bleibt, ob der EuGH dazu Recht sprechen wird, bevor die DSM-Richtlinie in Kraft tritt oder ob er in gleicher Weise abwartet, wie in diesem Sommer der BGH auf die EU-Parlamentsentscheidung gewartet hat. Wir werden weiter berichten.

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