EuGH zu Urheberverletzungen bei familiengenutzten Internetanschlüssen

Urheberrecht

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„Kein Versteckspiel hinterm Clan!“
EuGH stärkt die Verfolgung von Urheberverletzungen bei familiengenutzten Internetanschlüssen

„Ich war es nicht. Mein Bruder war es. Oder meine Schwester. Oder fragen Sie nochmal meinen Papa. Vielleicht war der es auch. Oder auch nicht.“

Verzweifelt hatte der Beklagte vor dem Landgericht München versucht, sich auf sein Grundrecht auf Familienschutz zu beziehen. Er verwies darauf, dass der Internetanschluss auch von seinen Eltern genutzt worden sei. Der Verlag Bastei Lübbe hatte auf Schadensersatz geklagt, weil seine Hörbücher in einem File-Sharing-System auftauchten und für den Upload die IP-Adresse des Beklagten identifiziert worden war.

Die Strategie der Exculpation durch einen mehr oder weniger diffusen Verweis auf die Familie sorgte bei Gericht für einige Unruhe. Denn sowohl Artikel 8 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2001/29/EG („InfoSoc-Richtlinie“), als auch Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2004/48/EG („Enforcement-Richtlinie“) versprechen dem Inhaber von Urheberrechten einen effektiven Rechtsschutz. Die Rede ist einerseits von „wirksamen und abschreckenden Sanktionen bei Rechtsverletzungen“ und andererseits von „wirksamen Maßnahmen zur Durchsetzung des Rechts am geistigen Eigentum“. Dem gegenüber standen im Verfahren nun Grenzen der Aufklärung  durch das Zeugnisverweigerungsrecht innerhalb der Familie, das in Deutschland § 383 Absatz 1 Nr. 3 ZPO für das Zivilverfahren und § 52 Absatz 1 Nr. 3 StPO für das Strafverfahren, gewährt.

Das LG München legte die Sache mit Beschluss vom 24.03.2017 dem EuGH vor. Denn selbst, wenn ein Anschlussinhaber identifiziert werden kann und einiges dafür spricht, dass er persönlich den Anschluss zum illegalen Upload in das Peer-to-Peer Netzwerk genutzt hat, so kann die Beweisführung dort in eine Sackgasse geraten, wo der Inhaber den Anschlusszugriff weiterer Familienmitglieder benennt, sodann jedoch genauere Angaben aufgrund seines familiären Zeugnisverweigerungsrechts ablehnt. In diesem Moment ist grundsätzlich der besondere Schutzbereich der Familie nach Artikel 6 Absatz 1 GG tangiert. Greift gegebenenfalls noch eine Störerhaftung des Anschlussinhabers auf Unterlassung, so scheitert die Schadensersatzklage mangels ausreichenden Strengbeweises zur Täterschaft dann doch, weil der Anschlussinhaber die Vermutung zu seinen Lasten unter gleichzeitigem Verweis auf die Familie erschüttern konnte.

Da dem LG München dieses familiäre Versteckspiel bei Urheberverletzungen nicht ganz geheuer war, ersuchte es den EuGH um einen Vorabentscheid in der Sache. Dieser entschied am 18.10.2018 (Rechtssache C149/17) zugunsten des Urheberrechts.

Nach Auffassung des EuGH muss ein angemessenes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Grundrechten, nämlich zum einen dem Urheberrecht und dessen effektiver Durchsetzung und zum anderen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, gefunden werden.

An einem solchen Gleichgewicht fehle es aber, wenn der Familie des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ein quasi absoluter Schutz gewährt würde. Wenn einem nationalen Gericht aufgrund familienbedingter Zeugenverweigerungsrechte die Feststellung der gerügten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung ihres Täters faktisch unmöglich sei, komme es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, welches dem Inhaber des Urheberrechts zur Durchsetzung seines Rechts am geistigen Eigentums zustehe.

Da der EuGH allerdings das Grundrecht auf den Schutz der Familie nicht dadurch aushebeln möchte, dass in Zukunft jeder Blutsverwandte seinen Nächsten verpfeifen muss, öffnet es der effektiven Rechtsdurchsetzung die Möglichkeit anderer Wege: Stehe dem Rechtsinhaber ein anderes wirksames Instrument zur Verfügung, im Falle von Familienanschlüssen im Internet seinen Schadensersatz durchzusetzen, so würde dies dem Sinn und Zweck der EU-Urheberrichtlinien genügen.

Da die Sache nun wieder beim LG München liegt bleibt abzuwarten, ob und wie das Gericht dem Verlag zu seinem Schadensersatzanspruch verhelfen will. Würde man im Wege der Rechtsfortbildung für die zivilrechtliche Haftung eine Art „unwiderlegbare Vermutung“ - bisher war diese eben einfach widerlegbar- zulasten des Anschlussinhabers einführen, so könnte dies wohlmöglich über das Ziel hinausschießen und den rechtstaatlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ empfindlich belasten. Vielmehr könnte es genügen, wenn künftig die Schadensersatzdurchsetzung gegen den Anschlussinhaber im Falle von Familiennutzungen erst dann scheitert, wenn eine hinreichend konkrete Exculpation durch die genaue Benennung tatzeitlicher Alternativpersonen gelingt. Anderenfalls wäre sogar über das Konstrukt einer gesamtschuldnerischen Haftung aller Familienmitglieder, die als Anschlussnutzer im Haushalt in Betracht kommen, zu denken. Letzteres klingt zwar zunächst nach einer Art „Sippenhaft“, die in Deutschland aus gutem und nicht zuletzt historischem Grund streng abgelehnt wird. Die Gesamtschuld hätte aber zumindest den positiven Effekt, beim häuslichen Abendbrot in der Wohngemeinschaft - gleich ob Familie, WG oder Clan - noch einmal über die Wichtigkeit des geistigen Eigentums und seines Schutzes zu sprechen. Der Grundsatz „wir sind eine Familie“ würde dann automatisch dazu führen, dass alle auch ein gemeinsames Rechtsverständnis zum Urheberrecht im Internet entwickeln müssten.

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