Ikke Hüftgold: Unhaltbare Zustände bei SAT1

Vertrags- und Äußerungsrecht

Vertrags- und Äußerungsrecht

“Unhaltbare Zustände in der Produktion”
Zur möglichen Einschränkung vertraglicher Vertraulichkeitsklauseln bei Notstand und höherrangigem Interesse an Bekanntmachung  

Nun hat Matthias Distel, bekannt als Ikke Hüftgold, auch noch Strafanzeige gegen Sat1 und die Imago TV GmbH erstattet. Mit einem Medienknall hatte sich der Produzent und Künstler am 24.05.2021 über Facebook und Instagram über höchst problematische Zustände bei einem Fernsehdreh zur TV-Serie „Plötzlich arm, plötzlich reich“ beschwert. Er nahm sich dafür in einem Video genau 18 Minuten und 30 Sekunden Zeit, Zustände einer Kindeswohlgefährdung und deren Umstände genau zu beschreiben. Dabei erhob er schwere Vorwürfe gegen den Sender Sat1 und die genannte Produktionsfirma, die von der Tochter des früheren rechtsnationalen Republikaner-Gründers Franz Xaver Schönhuber, geleitet wird. Andrea Schönhubers Vater war im Nationalsozialismus freiwilliges Mitglied der Waffen-SS gewesen und hatte es im Nachkriegsdeutschland aufgrund fragwürdiger Umstände in Bayern zu einem erstaunlichen Aufstieg in der Medienbranche gebracht. Man darf erwähnen, dass - soweit bekannt - seine Tochter sich nie öffentlich ausdrücklich von ihrem Vater distanziert hat. Stattdessen macht sie lebhafte Geschäfte im deutschen TV-Business.

Bei der Veröffentlichung von Matthias Distel waren für uns jenseits der familienrechtlichen und strafrechtlichen Fragen vor allem die letzten Sätze seiner Aussage interessant. Darin geht Distel davon aus, er selbst habe nun einiges zu befürchten, da er eine strenge und strafbewehrte Vertraulichkeitsklausel in seinem Engagement-Vertrag verletzt habe. Zumal er vor seiner Veröffentlichung per E-Mail der Redaktion noch geschrieben habe, dass ihm an einer Öffentlichkeit in der Sache nicht gelegen sei. Er habe sich dann aber anders entschieden. Grund genug, sich an dieser Stelle einmal mit den Grundsätzen von strafbewehrten Vertraulichkeitsvereinbarungen in Dienstleistungsverträgen auseinanderzusetzen.

Grundsätzlich gilt im deutschen Privatrecht das Prinzip der Privatautonomie. Danach können die Parteien in Verträgen regeln, was sie möchten, solange es nicht gegen das Gesetz, die Rechtsprechung oder gegen die guten Sitten verstößt. Geregelt ist diese Vertragsfreiheit im weitesten Sinne in den §§ 241, 145 BGB, ihre verfassungsrechtliche Grundlage findet sie in der allgemeinen Handlungsfreiheit von Art. 2 Abs. 1 GG und sie ist historisch durch das römische Recht begründet. Demnach durfte die ImagoTV Herrn Distel grundsätzlich zu einer strengen Vertraulichkeit über alle Zustände und Vorkommnisse am Set verpflichten und sie durfte diese Pflicht grundsätzlich auch mit einer Vertragsstrafe, also Geldzahlung, im Falle des Verstoßes, belegen. Herr Distel durfte sich darauf auch mit seiner Unterschrift einlassen. 

Dass die Privatautonomie hingegen nicht grenzenlos ist, zeigen zunächst Normen wie § 134 und § 138 BGB, wonach Verträge, die gegen das Gesetz verstoßen oder gegen die guten Sitten, nichtig sind. In Bezug auf Geheimhaltungspflichten hat sich zudem die Rechtsprechung intensiv im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschäftigt. Im Arbeitsrecht sind pauschale Vertraulichkeitsregeln ohne konkreten Sachbezug kaum haltbar und werden von den Gerichten zunehmend kritisch gesehen, siehe zum Beispiel LAG Mecklenburg Vorpommern, Urteil vom 21.10.2009, Az 2 Sa 237/09. Da der Schauspielervertrag von Ikke Hüftgold kein Arbeits- sondern ein freier Dienstleistungsvertrag war, kommt eine AGB-Kontrolle in Frage, soweit die Produktionsfirma ein Standardformular verwendet hat. Hier kann eine strenge Geheimhaltung nach § 307 BGB von vorn herein unwirksam sein, wenn die damit verbundene Vertragsstrafe unverhältnismäßig ist, BGH, Urteil vom 31.08.2017, Az. VII ZR 308/16.  

Liegen vorliegend keine Anhaltspunkte für eine per-se Unwirksamkeit der Vertragsklausel vor, so muss geprüft werden, ob sich Herr Distel bei seiner Veröffentlichung auf höherwertige Rechte und Interessen berufen kann. Erkennbar war, dass er sich in einem erheblichen Gewissensnotstand befand. Moralisch bekam Ikke sofort massenhaften Zuspruch für seine Courage und angesichts der Umstände teilen wir diesen Zuspruch uneingeschränkt. Rechtlich muss man sich gleichwohl vorsichtig an die Materie heranwagen. Denn sein Ziel, vor allem die Kinder der Casting-Familie vor weiterem Schaden zu schützen, hatte Herr Distel offenkundig bereits vor seiner Veröffentlichung erreicht. Er stellte das Video vor allem Online, um anhand eines konkreten und selbsterfahrenen Beispiels auf eine nach seiner Ansicht überzogene und unmenschliche Maschinerie im deutschen Fernsehen bei derartigen Reality-Formaten hinzuweisen, welche ohne Rücksicht auf das Individuum um jeden Preis auf Quote aus ist. Damit wird Distel zu einer Art Aufklärungsjournalist. In diesem Augenblick stehen sich für eine wertende Auslegung der vertraglichen Bindung die berechtigten Interessen der Parteien nach Art. 5 GG und Art. 14 GG gegenüber. Matthias Distel konnte sein Recht auf Äußerungsfreiheit nach Art. 5 GG zwar vertraglich einschränken, aber wohl nicht vollständig „um jeden Preis“ aus der Hand geben. Die Produktionsfirma hat wiederum grundsätzlich ein Interesse daran, alle Umstände ihrer TV-Produktion, wie z.B. Sach- und Personenauswahl, Drehorte, Verträge, Vorgespräche, Auswahlverfahren etc. geheim zu halten. Sie darf Gefahren für ihren Gewerbebetrieb nach Art. 14 GG umfassend durch vertragliche Abreden minimieren.

Die Interessen müssen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Wechselwirkungstheorie auch bei der Frage des zivilrechtlichen Vertragsverstoßes und des eventuell rechtfertigen Notstands umfassend abgewogen werden. Anhand des Videos von Matthias Distel wird anschaulich, dass er sich in einem erheblichen Gewissensnotstand befand und auch ein öffentliches Aufklärungsinteresse für sich beanspruchen kann. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass ein Gericht einem etwaigen Ansinnen der Produktionsgesellschaft, von Distel eine Vertragsstrafe oder Schadensersatz zu fordern, einen Strich durch die Rechnung macht.

Unser Praxistipp: Vertragsstrafen und Schadensersatzpflichten bei Vertraulichkeitsbruch sollten vor Unterschrift stets genau geprüft und verhandelt werden.  

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