Zum Jahresende: Nachgedacht

Das Maß der Gerechtigkeit zwischen Freiheit und Sicherheit

Liebe Mandanten, Geschäftspartner und Freunde,

in diesem Jahr überragten viele Aufgaben unser übliches Engagement für die Blog-Beiträge der Kanzlei. Und weil das Jahr nur zwölf Monate hat, die Woche nur sieben Tage und der Tag nur 24 Stunden, legen wir Ihnen nun lediglich diese kleine Note unter den Weihnachtsbaum. Im Kanzleialltag galt indessen das ganze Jahr über: Mit Volldampf voraus!

So haben wir es nicht nur geschafft, für unsere Klienten immer mit genügend Zeit und Antworten bereit zu stehen, sondern wir konnten auch die Bandbreite und Nachhaltigkeit unserer Mandantschaft sowohl national als auch international weiter ausbauen. Und so macht es uns zum Jahresende etwas stolz, dass ALBA PATERA in diesem Jahr mehr denn je Unternehmen und Personen aus vielen Ländern, unter anderem aus den USA, Süd-Ost-Asien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Vereinigten Königreich und diversen Ländern der Europäischen Union beraten konnte.

Auch im Inland konnten wir neuen Mandanten Freude bereiten und unsere Stellung im Bereich des Schutzes Geistigen Eigentums sowie im Arbeitsrecht, allgemeinen Wirtschaftsrecht, in der Gründerhilfe ebenso wie in der Prozessführung ausbauen. Mit besonderem Engagement sind wir unter Federführung von Rechtsanwalt Dr. Oliver Schwenzer seit dem Frühjahr gerne als externes Justiziariat dem Verband Deutscher Drehbuchautoren e.V. verpflichtet und kämpfen hier Seite an Seite mit wunderbar kreativen Urheberinnen und Urhebern für deren Rechte im Filmgeschäft. Ein Gebiet, welches angesichts des wachsenden Streaming Geschäfts nicht nur wirtschaftlich und kulturell äußerst dynamisch ist, sondern auch zu unseren Digitalisierungsschwerpunkten in der Kanzlei besonders gut passt. Ebenso passend wurde Rechtsanwalt Martin Rüssmann in das Executive Board des internationalen Verbands, der Association for Electronic Music ("AFEM"), wiedergewählt, ein spannendes Umfeld für unsere Akzente im Musik- und Entertainmentrecht.

Es darf wenig erstaunen, dass wir in den vielen Wirtschaftsbereichen, in denen wir im Urheberrecht, Medienrecht, Arbeitsrecht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Software- und Datenschutzrecht sowie in der Compliance und Prozessführung, agieren und beraten, auf immer wiederkehrende, grundlegende Fragestellungen stoßen. Übergeordnete Fragen, welche auch Sie bewegen dürften. Fragen, die weit über eine rein rechtliche Bewertung hinausgehen und denen wir uns auch gesellschaftlich nähern müssen. Fragen, die aufgrund von Ereignissen auf der ganzen Welt entstehen und die keine leichten Antworten kennen.

Was Mensch und Gesellschaft im Jahr 2021 zunehmend - und auch zunehmend radikal - bewegt hat, sind die Fragen nach Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Wer viel Freiheit möchte, der bekommt oft weniger Sicherheit. Wer sich möglichst sicher fühlen will, muss dafür oft starke Einschränkungen seiner Freiheit hinnehmen. Menschen denken unterschiedlich und setzen für sich unterschiedliche Lebensschwerpunkte, soweit sie überhaupt eine Wahl haben. Auch ganze Gesellschaften tun dies. Was passiert also, wenn die Interessen der Freiheitsliebenden und der Sicherheitsliebenden aufeinanderstoßen, sich kreuzen, sich widersprechen? Dann folgt oft der Ruf nach Rechtsetzung, Rechtsprechung und damit der Wunsch, Gerechtigkeit zu erleben.

Wir sehen dies im Großen wie im Kleinen. Eine Exekutive, die Menschen die Freiheit nimmt, in Discotheken zu tanzen, tut dies zumindest in der Absicht, die Sicherheit für die Gesundheit der Bevölkerung zu erhöhen. Ein Mensch, der sich die Freiheit nimmt, auf eine Impfung gegen ein bestimmtes Virus zu verzichten, senkt damit bewusst sein Sicherheitsniveau und auch das seiner Mitbürger, erfreut sich aber an der Freiheit seiner persönlichen Willensentscheidung. Was ist gerecht und wo beginnt die Ungerechtigkeit?

Ein autoritäres System mag besser darin sein, sofort riesige Schutzzonen zu errichten, um eine Virusübertragung einzudämmen als der freiheitlich geprägte Westen, der aus gutem Grund soweit wie möglich dem Einzelnen die Wahl seines Aufenthalts und seiner Lebensgestaltung lassen will. Und nicht wenige wären sogar bereit, Ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel zu setzen. Aber ist dies fair, wenn sie andere durch ihre eigenen Freiheitswünsche gefährden?

Und wie verhält es sich mit dem freien Wettbewerb? An welchem Punkt endet die Freiheit marktschreierischer Entfaltung in der Wirtschaft, wenn der Verbraucher sich in Sicherheit wiegen sollte, nicht unlauter über den Tisch gezogen zu werden?

Was ist im Urhebervertragsrecht wichtiger? Die Freiheit des Verwerters, mittels geringer Kosten möglichst viel Rechte an sich zu reißen oder die Sicherheit des Urhebers, für alle Nutzungen seines Werkes stets eine angemessene Vergütung zu erhalten?

Wünsche ich mir einen sicheren Arbeitsplatz oder einen möglichst frei unternehmerisch agierenden Arbeitgeber, der die Qualität seiner Belegschaft nicht nur über Fortbildungen, sondern auch über eine flexiblere Stellenbesetzung steuern kann?

Alle diese Abwägungen haben es gemein, dass sie eines einfordern: Eine möglichst gerechte Entscheidung. Wir erleben das Jahr 2021 im Rückspiegel mehr als frühere Jahre als eine Zeit, in welcher der Ruf nach Gerechtigkeit lauter geworden ist. Dies ist etwas Gutes. Aber der Ruf nach Gerechtigkeit ist vielerorts auch schriller geworden. In ihn mischen sich Töne von Populisten, Verschwörungsphilosophen und Radikalen. Damit wird das Wort Gerechtigkeit zum Spielball der Meinungsmache. Was aber diejenigen, die den Ruf nach Gerechtigkeit für ihre Meinungsmissionen missbrauchen, übersehen, ist, dass das Ausrufezeichen „Gerechtigkeit“ idealerweise kein Schlagwort am Beginn einer Positionierung ist, sondern zumeist das Ergebnis eines langen, langen Abwägungsprozesses.

Nicht selten sprechen wir Juristen davon, dass Gerechtigkeit erst gesucht und gefunden werden muss. Justitia macht uns dies mit verbundenen Augen vor. Abwägung funktioniert nur mit Bedacht und der Fähigkeit, sich in die Positionierung des anderen derart mitdenkend hineinzubegeben, dass daraus ein intelligentes Wechselspiel von These und Gegenthese entsteht. Und wer wirklich Gerechtigkeit will, der muss wohlmöglich am Ende nicht selten damit zurechtkommen, dass nicht jedes Ergebnis absolut gerecht ist, sondern nur ein Kompromiss, ein Vergleich, mit dem es sich leben lässt. Dann gilt es zu betonen, dass es vor allem der Findungsprozess, einschließlich der Wahrheitssuche und Interessenabwägung, sein muss, der gerecht zu verlaufen hat. Gelingt dies, so stehen auch die Chancen auf ein gerechtes Ergebnis nicht schlecht.

Andererseits kennen wir ständig Situationen, in denen Gerechtigkeit keine Frage der Relativität zu sein scheint. Uns erscheint dann nur ein Ja oder Nein als gerecht. Bei gewissen Grundwerten mag dies der Fall sein. Es ist nicht gerecht, einem Menschen gegen das Schienbein zu treten. Aber es wird andere geben, die den Tritt aufgrund einer bestimmten Situation oder etwas voraus Geschehenen als äußerst gerecht empfinden. Und so kann noch die größte Ungerechtigkeit aus anderer Perspektive einen Sinn ergeben. Eine grausame Erkenntnis, besonders wenn man sie umkehrt. Denn umgekehrt kann sogar die Gerechtigkeit aus anderer Perspektive vollkommen sinnlos sein.

Es ist eine hohe Aufgabe der Rechtswissenschaft, dass der Mensch und die Gesellschaft, in der er lebt, genau an dieser neuralgischen Stelle der Relativierung, die ebenso grausam wie versöhnend sein kann, ebenso unheilvoll wie verheißend, nicht kaputt geht. Juristen entwickeln dann, wenn es gute Juristen sind, ein genaues Gespür dafür, wann es einer Relativierung der Gerechtigkeitsbetrachtung bedarf und wann ihr ein Stoppschild entgegengestellt werden muss.

Das Gespür darf nicht weichen, wo die Plakate der Populisten größer und die Schreie der Frustrierten lauter werden. Am Ende ist der Mensch seinem Gewissen verpflichtet und er trifft damit auf die größte Herausforderung seines eigenen inneren Wesens. Gewissen und Gerechtigkeitsmaxime liegen oft dicht beieinander.

In diesem Sinne sind wir unsere Rechtsthemen in 2021 für Sie gewissenhaft und auf der Suche nach Gerechtigkeit angegangen. Wenn unsere Mandanten gemeinsam mit ihren Vertragspartnern der Meinung waren, dass wir ein gerechtes Ergebnis verhandelt hatten, dann haben wir uns gefreut. Und wenn die Gegner unserer Mandanten meinten, dass wir nur auf die Gerechtigkeit für unsere Mandanten geschaut haben, haben wir uns nicht minder gefreut.

Denn der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, aber er vertritt die Gerechtigkeitsinteressen seiner Mandanten.

In diesem Sinne bedanken wir uns für Ihr Vertrauen in unsere Arbeit, wünschen Ihnen und Ihren Lieben eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit und freuen uns gemeinsam mit Ihnen auf ein neues erfolgreiches Jahr 2022!

Ihre
ALBA PATERA Rechtsanwälte