EuGH entscheidet zum Sampling von "Metall auf Metall" der Band Kraftwerk
Urheberrecht
„Ich höre was, was Du nicht hörst!“
Freie Fahrt für Sampling? – Zur Entscheidung des EuGH in der Sache „Metall auf Metall“
Selten weicht der Europäische Gerichtshof (EuGH) von den Empfehlungen seiner Generalanwälte ab. Wir hatten berichtet. Doch in dem, über alle bisherigen Instanzen, hoch umkämpften Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham entschied das oberste Europäische Gericht Ende Juli mit einer beachtlichen Nuance (Urteil des EuGH vom 29.07.2019 – Az. C476/16). Die Übernahme einer vorbestehenden Tonaufnahme in neue Werke kann zulässig sein, wenn es sich um einen lediglich sehr kurzen Ausschnitt handelt - der EuGH benutzt hier den Terminus „Fragment“ - und dieser Ausschnitt derart abgeändert und eingefügt wurde, dass er beim Hören des neuen Werkes nicht erkennbar ist.
Allen, die sich in ihrem Leben mindestens einmal mit der Übernahme von Musik in neue Musik beschäftigt haben, kann diese Aussage nur Stirnrunzeln hervorrufen. Denn rechtlich verfolgt wird, was der Inhaber von Leitungsschutzrechten an der Originalaufnahme bei dem Hören neuer Musik entdeckt. Er stellt aus der Natur der Sache nur Ansprüche gegen Dritte, wenn er seine Aufnahmen bei diesen wiedererkannt hat.
Hat der EuGH also ein „Nullum“ ausgeurteilt? Läuft der vom EuGH gemeinte Fall, dass ein Rechtsinhaber an Tonaufnahmen seine Rechte verfolgt, obwohl er seine Aufnahme im neuen Werk gar nicht wiedererkennen konnte, in der Praxis ohnehin immer ins Leere? Denkbar wären Fälle, in denen der Originalinhaber zunächst einen Verdacht schöpft und dann erst aufgrund technischer Verfahren beweisbar macht, dass es sich um seine Originalaufnahme handelt. Immerhin drängt sich auch bei Sabrina Setlur´s Song „Nur mir“ nicht für jeden sofort auf, dass es sich um ein Sample von Kraftwerk´s „Metall auf Metall“ handelt.
Letztlich ist zu erkennen, dass der EuGH mit der jetzigen Entscheidung klarstellen wollte, dass die erkennbare Übernahme von Tonaufnahmen regelmäßig in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers und Interpreten eingreift, allerdings in Grenzfällen kürzester Sequenzen der Leistungsschutz nicht stärker greifen soll, als das Urheberrecht am eingespielten Werk selbst. Zwar kommen beide Schutzrechte aus verschiedenen Richtungen, denn der Werkschutz schützt die Komposition im Sinne der Melodie, des Arrangements, der Instrumentierung und Dynamik des Werkes. Der Leistungsschutz setzt hingegen schlicht bei der Werkwiedergabe und seiner Tonaufzeichnung an. Während das Leistungsschutzrecht nur vor der unmittelbaren Leistungsübernahme schützt, gewährt das Urheberrecht auch „Nachahmungsschutz“, also Schutz vor dem Plagiat. Das Erfordernis einer Interpretation geschützter Werke ist indes im Tonträgerrecht entbehrlich. Auch Aufnahmen, die keine Werkdarbietung oder solche freier Werke enthalten, sind nach §§ 85 ff. UrhG geschützt. Von daher ist der Begriff des urheberrechtlichen „Nebenrechts“ beim Leistungsschutz des Tonträgerherstellers verwirrend. Das Recht ist nicht akzessorisch zum Urheberrecht des Werkschöpfers.
Allerdings kann in einzelnen Fällen, in denen die Wiedererkennbarkeit der Aufnahme bei der Samplingverfolgung scheitern könnte, durchaus auf die Motivation des Klagenden geschaut werden. Ist dieser Urheber, Interpret und Tonträgerberechtigter in Personalunion, dann kann die Berufung auf ein kurzes Sample als Rechtsmissbrauch, scheitern, wenn die Werksequenz auch unter urheberrechtlichen Aspekten nicht schutzfähig war. Darum scheint es dem EuGH auch zu gehen.
Denn diese Grenzen passen auf den konkreten Fall von Kraftwerk. Mit einer Urheberverletzung konnten die Kölner Elektrohelden bei Moses P. nicht durchdringen, war doch die kurze Schlagzeug- und Metall-Percussion Sequenz zu kurz und nicht geeignet, eine Melodieübernahme nach § 24 Absatz 2 UrhG oder ein sonstiges Teilwerkplagiat zu statuieren. Gleichwohl lag vorliegend der Wiederkennungswert nicht spezifisch in der Tonaufnahme, sondern in der kurzen knackigen Rhythmisierung eines vierviertel Taktes. Hier wollte der EuGH sagen: Steht der Inhalt einer kurzen Sequenz im Vordergrund der Erkennbarkeit, z.B. ein kurzes Riff, nicht aber die Aufnahme als solche in Frequenz, Qualität und sonstiger aufnahmetechnischer Umsetzung, dann scheitert das Verbotsrecht regelmäßig dort, wo auch der Urheberschutz nicht hinkommt.
Genau in diesen Fallkonstellationen kann, letztlich nach dem US-amerikanischen Vorbild des „Fair Use“, die Kunstfreiheit des Samplenutzers dem berechtigten Interesse des originären Schutzrechtsinhabers überwiegen.
Ob diese Wertung sachgerecht ist, mag gleichwohl zweifelhaft bleiben. Zumindest macht sie es dem kreativen Radius von DJs und Musikproduzenten künftig einfacher. Sampeln diese, um sich erkennbar an einer vorbestehende Aufnahme anzulehnen, so scheitert dies zwar auch in Zukunft am Verbotsanspruch des originären Rechteinhabers. Sampeln sie, wie vorliegend, hingegen primär, um den Inhalt der Aufnahme, z.B. eine Rhythmisierung oder Atmosphäre nachzuempfinden (beides ist für sich allein urheberrechtlich eben nicht schutzfähig), dann tun sie dies letztlich in einem kreativen Prozess, der zum einen eine Neueinspielung erspart, zum anderen aber lediglich den Hauch einer vorbestehenden musikalischen Atmosphäre ergreifen will. Wird dann ein wenig die Frequenz und Kompression verändert, kann das vom EuGH nun festgelegte Privileg der Kunstfreiheit zur Geltung kommen. In der Praxis dürften diese Fälle auf den absoluten Bagatellbereich, also den Bereich, der - wie es der EuGH betont - “die Wiedererkennbarkeit des eingefügten Samples ausschließt”, beschränkt bleiben und im Gegensatz zum klar erkennbaren Sample eher selten vorkommen. Aber was ist aus tatrichterlicher Sicht schon “wiedererkennbar” und was nicht?
Es wird für die nationalen Gerichte nun herausfordernd sein, auf dieser Basis für ausreichende Rechtsicherheit und einzelfallgerechte Entscheidungen zu sorgen. Auch der BGH muss jetzt, obgleich er doch für die Frage der “Wiedererkennbarkeit” keine Tatsacheninstanz, hier also im Grunde an die Feststellungen der Berufungsentscheidung gebunden ist, neu entscheiden. Sollte sich das „Fair Use“ Privileg für Samples in Europa weiter durchsetzen, so ist die Zunahme von Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Denn das Recht des Herstellers an der Tonaufnahme bleibt im Grundsatz Eigentumsrecht und darf, wie seit jeher auch beim Sampling, umfassend monetarisiert werden.
Unser Praxistipp: Im Zweifel entweder Rechte am Sample einholen oder lieber das Gewollte neu einspielen und aufnehmen.
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