US-Gericht entscheidet gegen Katy Perry im Melodienstreit
Urheberrecht
„Meine Melodie!“
Die Beanspruchung des starren Melodienschutzes im Musikurheberrecht liegt international im Trend
Als John Lennon in den 1970er Jahren formulierte, die Musik gehöre doch jedem und nur die Verleger glaubten, man könne von ihr Besitz ergreifen (Zitat: „Music is everybody’s possession. It’s only publishers who think people can own it.“), hatte sich die britische Band Led Zepplin soeben mit “Stairway to Heaven” an den Song “Taurus” der US-Band Spirit – sagen wir mal – angelehnt? Mehrere Jahrzehnte tauchte die Frage, ob in dieser Anlehnung ein Melodiendiebstahl zu sehen sei, nicht auf. Erst knapp dreißig Jahre später beschwerte sich der Gitarrist von Spirit, Led Zepplin habe den Titel Taurus geklaut. Dann verstarb er. Es dauerte weitere siebzehn Jahre bis eine Hinterbliebenenstiftung den Fall 2014 zur Anklage brachte.
Wer beide Titel kennt, weiß, dass sich Grund- und Liedmelodie in den Anfängen auf A-Moll frappierend ähnlich sind. Led Zepplin tourte Ende der Sechziger mit Spirit. Nicht auszuschließen, dass sich die Engländer die schöne Melodie der Amerikaner zu eigen machten. Doch 2016 urteilte die Jury zugunsten des weitaus berühmteren Liedes „Stairway to Heaven“. Ob die Herren Page und Plant von Led Zepplin ihre viele Millionen Dollar, die das Lied einspielte, behalten dürfen, steht allerdings noch aus. Die Sache ist derzeit unter Zurückweisung in erneuter Verhandlung.
Aktuell lässt ein weiterer Fall aufhorchen: Katy Perry musste sich Ende Juli gefallen lassen, ihre Nummer „Dark Horse“ (heute über 2,6 Milliarden Aufrufe allein auf YouTube) übernehme im erheblichen Maße „Joyful Noise“ des US-Rappers Flame. Eine neunköpfige Laienjury befand, hier läge eine verbotene Melodieübernahme vor.
Beide Fälle aus Los Angeles machen deutlich, wie wertungsabhängig die Plagiatskämpfe in der Musik geführt werden. Denn jedes auch nur halbwegs musikgeschulte Ohr wird sofort bejahen, dass die Ähnlichkeitsgrade in den beiden prominenten Fällen nicht wesentlich voneinander abweichen. In beiden Fällen geht es letztlich um die Übernahme weniger Noten in einer Abfolge von zwei bis vier Takten einschließlich geringfügiger Abwandlungen im Abschluss. Es ist also nicht selbsterklärend, warum beide Fälle in erster Instanz derart unterschiedlich ausgeurteilt wurden.
Auch im deutschen Urheberrecht verursacht der sogenannte „starre Melodienschutz“ nach § 24 Abs. 2 UrhG regelmäßig eine schmale Gratwanderung zwischen freier Benutzung und Plagiat. Die letzte prominente Entscheidung des BGH erging dazu 2015 in der Sache „Goldrapper“ der französischen Gothic Band „Dark Sanctuary“ gegen den Sänger Bushido (Urteil vom 16.04.2015 - Az. I ZR 225/12). Hier holte der BGH noch einmal zu einem Gesamtüberblick über den Urheberschutz gegen musikalische Plagiate aus. In Bezug auf seine ständige Rechtsprechung wiederholte er,
- dass sich eine individuelle schutzfähige Leistung nicht nur aus der Melodie und dem Einsatz der musikalischen Ausdrucksmittel der Rhythmik, des Tempos, der Harmonik und des Arrangements ergeben kann.
- Vielmehr seien auch Art und Weise des Einsatzes der einzelnen Instrumente, also der Durchführung der Instrumentierung und Orchestrierung beachtlich und könnten zur ausreichenden Individualität der schöpferischen Leistung beitragen.
- Nicht dem Urheberrechtsschutz zugänglich sei demgegenüber das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder die - wie Tonfolgen einfachster Art oder bekannte rhythmische Strukturen - sonst zum musikalischen Allgemeingut gehören.
- Dabei sei auch im Hinblick auf Musikwerke zu berücksichtigen, dass für einen urheberrechtlichen Schutz eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern ist.
- Entscheidend für die Frage der Schutzfähigkeit sei, ob der auf dem Zusammenspiel all dieser Elemente beruhende Gesamteindruck den erforderlichen Eigentümlichkeitsgrad aufweist.
- Die Beurteilung bemesse sich dabei nach der Auffassung der mit musikalischen Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise.
Diese Leitlinien hat der BGH über viele Jahre in mehreren Urteilen entwickelt, wobei die Entscheidungen „Haselnuß“ (Urteil vom 03.11.1967 – Az. Ib ZR 123/65); „Dirlada“ (Urteil vom 26.09.1980 – Az. I ZR 17/78); „Ein bisschen Frieden“ (Urteil vom 03.02.1988 – Az. I ZR 142/86); „Fantasy“ (Urteil vom 03.02.1988 – Az. I ZR 143/86) sowie „Brown Girl“ (Urteil vom 24.01.1991 - Az. I ZR 72/89 und I ZR 78/89) im Vordergrund stehen.
Die eigentliche Herausforderung besteht immer wieder darin, die von der Rechtsprechung gewählten offenen Formulierungen wie „musikalische Ausdrucksmittel“, „Art und Weise der Instrumentierung“, „Tonfolgen einfachster Art“, „musikalisches Allgemeingut“, „Gestaltungshöhe“, „Gesamteindruck“ und „Eigentümlichkeitsgrad“ anhand des Einzelfalles mit Leben zu füllen. Es kann nicht verwundern, dass dabei auch im deutschen Rechtssystem eine wertungsbezogene Einzelfallkasuistik entsteht.
Einen wesentlichen Unterschied gibt es aber zur gerichtlichen Vorgehensweise in den USA. Während sich die Urteilsfindung in den Vereinigten Staaten der Heranziehung einer Laienjury bedient, die musikalisch völlig unerfahren sein kann und zudem das Vorspielen von Originalaufnahmen, der sich gegenüber stehenden Werke vermeidet, um die Konzentration allein auf die Melodie statt auf die Interpretation und Tonaufnahme zu lenken, findet in Deutschland die Beurteilung der Gerichte aus der Sphäre der mit musikalischen Fragen vertrauten Verkehrskreise statt und scheut den Vergleich von Originalaufnahmen zum Zwecke der Findung des Gesamteindrucks gerade nicht. Man mag zwar darüber streiten, wer denn nun genau die angesprochenen Verkehrskreis sein mögen. Ist dies bereits der Hochzeits-DJ oder nur der Hochschulprofessor der Musik? Wer kann schon sagen, wer von beiden mehr „Ahnung von Musik“ hätte. Fest steht jedenfalls, dass die Gerichte der Heranziehung von Sachverständigengutachten in musikalischen Plagiatsverfahren regelmäßig ein hohes Gewicht zusprechen.
Der starre Melodienschutz indes hat sich unterm Strich trotz einer zunehmenden Verdichtung von Popmusik auf einfache Melodieformeln bewährt. Die grenzenlose Allgegenwärtigkeit von Musik macht diese besonders anfällig gegen ungewünschte Übernahmen. Und der Wiedererkennungswert einer einfachen Melodie ist oft derart intensiv (man denke nur an Beethovens Auftakt der 5. Sinfonie, „We Will Rock You“ von Queen oder Notenabfolgen von „Somewhere Over The Rainbow“, „Alle Meine Entchen“ oder „Happy Birthday“), dass bereits wenige Noten ausreichen können, um eine Eins-zu-Eins Übernahme zu empfinden und mit Leichtigkeit festzustellen.
Insgesamt bleibt das Melodieplagiat damit ein Feld für intensive Einzelfallbetrachtungen.
Praxistipp: Egal ob Sie Rechteinhaber oder neuer Komponist sind, verlassen Sie sich nie auf ihr eigenes Urteil, ob eine Melodie der anderen entnommen ist, ihr ähnelt, gleicht oder etwas Neues bietet. Beschäftigen Sie sich vor der Aufstellung von Plagiatsvorwürfen mit den üblichen Abgrenzungskriterien und suchen Sie fachkundigen Rechtsrat für die Durchsetzung oder Abwehr von Urheberansprüchen.