Grenzziehung zwischen Coverversion und Bearbeitung bei Popsongs
Urheberrecht
Ich sing' Dein Lied!
Zur kulturellen Vielfalt und der urheberrechtlichen Grenzziehung zwischen Coverversion und Bearbeitung bei Popsongs
Der belgische Sänger Gotye verbrachte bis in das Frühjahr 2011 hinein im Grunde ein recht bescheidenes Dasein in der Independent-Pop-Szene. Dann änderte sich mit der Veröffentlichung seines Sommerhits „Somebody That I Used To Know“ plötzlich alles. Viele Millionen Downloads, weltweit höchste Chartplatzierungen, diverse Platin-Auszeichnungen und zwei Grammy Awards. Selten wurde ein Lied derart schnell zu einem „Klassiker“ moderner Popmusik. Dabei liegt die Raffinesse des Songs vor allem in seiner Einfachheit. Wir kommen später darauf zurück.
„Alle mitsingen!“ kennt man nicht nur vom Schulchor oder häuslichen Weihnachtsfest. Auch auf YouTube werden seit Jahren Milliarden von Videostreams vor allem dadurch erzeugt, dass Menschen allen Alters ihre Lieblingslieder nachsingen und ins Netz stellen. Die Zweitinterpretation, umgangssprachlich „Coverversion“, erfreut sich größerer Beliebtheit denn je. Doch viele Musiker covern nicht nur, sondern bringen eigene musikalische Ideen in ihre Werkinterpretation ein. Diese reichen von eigenen Intros, Abwandlung der Reihenfolge der Liedteile, zusätzlichen Soloparts, über Textänderungen oder Übersetzungen und neuen Instrumenten bis hin zu Tempoänderungen, abgewandelten Rhythmen und ganzen Genre-Änderungen. An dem Lied wird nicht nur gearbeitet. Zuweilen wird es auch bearbeitet.
Grund genug, den aktuellen Rechtsrahmen solcher Aktivitäten regelmäßig zu beleuchten. Dies hat einen besonders aktuellen Bezug. Denn die EU-Kommission stellt dieser Tage dem EU-Parlament einen Richtlinien-Entwurf vor - die DSM-Richtlinie (Digital Single Market) -, der in Artikel 13 des Entwurfs für Social-Media-Plattformen eine verschärfte Haftung vorsieht. Zukünftig sollen diese Anbieter den nichtlizensierten bzw. unrechtmäßigen Content bereits im Upload herausfiltern. Doch wer will das bei Coverversionen beurteilen? Ein Mensch, eine Maschine, ein Algorithmus?
Das Urheberrecht der Musik will nicht nur den Komponisten und Textdichter schützen. Es schafft seit jeher auch ausreichend Raum für die Entfaltung kultureller Vielfalt. Vor allem fördert es die Mehrfachinterpretation von Liedgut. Zwar stehen dem Urheber nach § 15 Urhebergesetz (UrhG) umfassende Exklusivrechte zu. Auch kann er Veröffentlichungen und Verwertungen, nicht jedoch bereits die Herstellung einer Bearbeitung seines Musikwerkes nach § 23 UrhG untersagen. Hat der Musikautor allerdings einem Schallplattenlabel oder einem Künstler erstmalig erlaubt das Werk in Form einer Aufnahme zu verbreiten, so muss er ab dann dieses Recht nach § 42a UrhG auch jedem anderen gewähren oder zumindest eine einfache Lizensierung über eine Verwertungsgesellschaft, wie z.B. die GEMA, sicherstellen. Diese in der rechtlichen Diskussion wenig beachtete aber in der Praxis effizient gelebte Coverversion-Vorschrift entspringt dem kulturellen Vielfaltsgedanken. Sie fördert die Mehrfachinterpretation von Musikwerken.
Die §§ 23 und 42a UrhG stehen in der Praxis in einem gegenseitigen Wechselspiel. Gerät die Interpretation zur Bearbeitung, so muss der Urheber sie nicht dulden. Bleibt sie eine reine Werkwiedergabe mit der Ausschöpfung eines musikalischen Interpretationsspielraumes, so kann der Urheber zwar eine Vergütung verlangen. Verbieten kann er die Verbreitung dieser Interpretation aber nicht. Kurzum: Coverversionen sind erlaubt.
Welche Grundsätze lassen sich nun für eine Abgrenzung aufstellen? Was ist noch Interpretation, was ist Bearbeitung?
Bei der Beantwortung dieser Fragen ist zunächst vorauszuschicken, dass dem Urheber aufgrund seiner persönlichen Bindung zum Werk ein das Werk beeinträchtigender Eingriff grundsätzlich nicht zuzumuten ist, siehe § 14 UrhG. Die sogenannte Werkintegrität ist unantastbar. Damit ist zugleich ein grober Rahmen für Bearbeitungen gezogen. Denn das Bearbeitungsrecht des § 23 UrhG entspringt, auch wenn es systematisch den Verwertungsrechten zugeordnet ist, dem persönlichkeitsrechtlichen Gedanken. Ein Eingriff in die Struktur des Werkes ist daher im Zweifel Bearbeitung. Dies gilt für Melodieänderungen, sowohl in der Grundmelodie als auch in der Solostimme. Wer eine Strophe oder einen Refrain in der Melodieführung verändert, der bearbeitet. Ebenso handelt es sich um Bearbeitungen, wenn eine neues Intro oder Outro dem Song hinzugefügt wird. Ob aber auch Abfolge-Änderungen, wie z.B. Kürzungen oder das Lied lediglich durch Wiederholung von Refrains verlängernde Spielweisen eine Bearbeitung sind, ist zu bezweifeln. Bei komplexen Werken klassischer Musik, die von einem klar definierten dramaturgischen Aufbau leben, mag man dies noch bejahen. In der Popmusik ist die Verkürzung oder Verlängerung im Rahmen des Coverns regelmäßig keine Bearbeitung. Es handelt sich um einen nur trivialen Werkeingriff.
Wer ein Lied sozusagen „Eins-zu-Eins“ entsprechend der Originalversion nachspielt, ist immer auf der sicheren Seite. Das typische Beispiel ist die „Wedding-Singer“-Band oder auch die Gesangsprobe mit bekannten Charthits in TV-Sendungen wie „The Voice“, das „Supertalent“ oder „Deutschland sucht den Superstar“. Und singt ein Kandidat noch so schief. Dies macht noch keine Werkbearbeitung aus. In Extremfällen kann es sich freilich um eine Werkentstellung handeln, gegen die der Komponist nach § 14 UrhG eingreifen kann. Covern heißt eben nicht verunglimpfen, sondern würdigen. Auf einen Entstellungsvorsatz kommt es dann für einen Unterlassungsanspruch nicht an.
Der überwiegende Teil bekannter Coverversionen spielt sich aber im Grenzgebiet zwischen Interpretation und Bearbeitung ab und muss je nach Einzelfall bewertet werden. Hier wird zwar oft Werktreue gezeigt, jedoch eine ganz andere Werkdarbietung als in der Originalfassung präsentiert. Problematisch kann dies nur werden, wenn das Musikwerk und die Originalinterpretation eine absolute Einheit bilden. Denn dann bearbeitet derjenige das Werk, der sich nicht nach den schöpferischen Vorgaben der Originaldarbietung hält. Das ist bei Popmusik regelmäßig nicht der Fall. Und mag die Stimme des Originalsängers noch so schön sein, das Gitarrensolo noch so gut gespielt und die Drums noch so knackig gemischt. Dies alles führt nicht dazu, dass der Zweitinterpret das Werk nicht ganz anders als der erste interpretieren dürfte. Dabei ist nach seit Jahrzehnten etablierter kultureller Verkehrssitte in der Popularmusik auch eine gewisse Abwandlung in der Instrumentierung noch vom Urheber zu dulden. Zwar sehen Verlage dies oft anders, um zusätzlich durch Bearbeitungsgenehmigungen Kasse zu machen. Wer aber von einem Popsong ein A Capella veröffentlicht oder von einer Rocknummer eine „unplugged“ Akkustik-Version, der sollte sich nicht gleich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, er habe das Werk bearbeitet. Anders mag es sich dann verhalten, wenn der Interpret das ursprüngliche Genre radikal verlässt, z.B. aus einer Hip-Hop-Nummer eine klassische Klavierballade zaubert oder aus einem französischen Chanson einen Heavy Metal Hit macht. Ein solcher Genrewechsel greift im Zweifel derart stark in die Werkintegrität ein, dass er Bearbeitungsqualität hat. Übersetzungen von Texten in eine andere Sprache sind immer Bearbeitungen, die angefragt werden müssen. Die Verbindung mit anderen Werken, z.B. Filmwerken oder Musicals greift ebenso intensiv in die Werkintegrität ein und muss daher vor Veröffentlichung geklärt werden. Gleiches gilt für werbliche Nutzungen.
Zurück zu Gotye und seinem Superhit. Auf Youtube finden sich tausende von Coverversionen. Bereits die wohl bekannteste der A Capella Formation „Walk off the Earth“, verzeichnet mittlerweile fast 190 Millionen Aufrufe. Ähnlich beliebt ist eine Schmusefassung des bekannten Coverprojektes Boyce Avenue mit fast 26 Millionen Aufrufen. Das Original von Gotye glänzt zwar mit über 1 Milliarde Streams. Die Summe aller Cover dürfte aber inzwischen an diese Zahl heranreichen. Das alles sind keine Bearbeitungen. Als Coverversionen sind sie erlaubt.
Mutmaßlich hat keiner der Interpreten den Autor oder seinen Verlag vorab gefragt, ob die Versionen als Stream auf YouTube veröffentlicht werden dürfen. Und es ist auch nicht zu vermuten, dass die originären Rechteinhaber etwas dagegen hätten. Auch sie sind für kulturelle Vielfalt und Mehrfachinterpretationen. Am Ende geht es nur um die angemessen Vergütung. Dies will auch die Zwangslizenz nach § 42a UrhG erreichen.
Hierin liegt nun das Problem der bevorstehenden EU-Richtlinie. Durch Filtertechnik wird sie zunächst primär den Werkinterpreten als Uploader pönalisieren, wenngleich die Zielsetzung doch eigentlich eine ganz andere sein sollte: Eine Pauschalabgabe mit Werk-für-Werk Verteilung des Diensteanbieters für alle Coverversionen an eine Verwertungsgesellschaft oder andere von dem Werkautor autorisierte Institutionen. Kulturelle Vielfalt bei gleichzeitiger angemessener Vergütung des Urhebers ist das Gebot der Stunde.
Kontaktieren Sie uns zum Thema "Coverversion oder DSM-Richtlinie"