Crowdsourcing als Grundlage für Arbeitsverhältnisse

Arbeitsrecht

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„Gebunden in der Crowd“
Arbeitnehmer kann auch werden, wer Crowdaufträge auf Ausschreibungsplattformen annimmt.

Erstmals hat das Bundesarbeitsgericht mit einer Entscheidung vom 01.12.2020 (Urteil vom 01.12.2020 - 9 AZR 102/20) den arbeitsrechtlichen Status von sogenannten Crowdworkern in den Fokus gerückt. Angesichts der Umbrüche in der Art und Weise, wie Dienstleistung heutzutage und in welchen Umfeldern beansprucht wird, kommt der Entscheidung zur rechten Zeit erhebliche Bedeutung zu.

Im Internet finden Menschen, die auf der Suche nach bezahlter Arbeit für vielfältige Tätigkeiten sind, unter anderem Crowdsourcing Unternehmen. Solche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie traditionell interne Teilaufgaben von Unternehmen in deren Auftrag an eine Gruppe freiwilliger User über standardisierte Software, wie zum Beispiel Apps auslagern. Die Aufgaben werden dann oft auch über diese Apps abgewickelt und bezahlt.

Im Fall des Verfahrens vor dem BAG hatte ein Auftragnehmer über ein solches Crowdsourcing die Aufgabe übernommen, Fotos von Warenregalen und Plakaten an verschiedenen Point of Sale Punkten, wie Tankstellen, zu machen, und dort auch Betrachter der Plakate zu befragen um die gewonnenen Bilder und Informationen dem Auftraggeber zu dessen Marktforschungszwecken zuzuspielen. Die Bezahlung erfolgte digital über Paypal und ergab für den klagenden Crowdworker monatlich etwa 1750 EUR an Einnahmen. Sein Arbeitseinsatz verbrauchte circa zwanzig Wochenstunden. Grundlage der Dienstleistung war eine Rahmenvereinbarung ohne Auftragsvolumen. Der Crowdworker war nicht verpflichtet, bestimmte Aufträge zu übernehmen. Er konnte frei entscheiden, wann, wo, bei welcher Gelegenheit und wie oft er die App zur Wahrnehmung der Aufträge benutzte. Mit den Kunden der marktforschenden Plattform, den Markenartikeln, war kein Vertragsverhältnis vorgesehen. Der Crowdworker war auch nicht zur höchstpersönlichen Leistung verpflichtet, er konnte beliebige Dritte zur Erledigung der Arbeit mit Gutschrift auf sein Konto einsetzen. Ebenso unterlag der Crowdworker keinem Wettbewerbsverbot, er konnte beliebig für Dritte tätig werden, auch für Konkurrenz.

Nachdem der Kläger in einem Jahr fast dreitausend der Miniaufträge über die App bearbeitet hatte, kam es zum Streit und die Plattform verweigerte dem Mann weitere Aufträge. Dieser behauptete nun, in einem Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit mit der Crowdsourcing Firma zu stehen. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht lehnten sein Begehren ab.

Ein Arbeitsverhältnis zeichnet sich nach § 611a Abs. 1 Satz 1 bis 3 BGB regelmäßig dadurch aus, dass eine weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet wird und der Verpflichtete unter anderem Zeit- und Ortseinteilung sowie die Ausführung seiner Tätigkeit nicht mehr frei selbst gestalten kann. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses diese Merkmale, so kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an, § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB.

Die Vorinstanzen kamen jedoch zu dem Schluss, dass der Crowdworker an entsprechende Vorgaben durch den Auftraggeber nicht gebunden war. Nachdem sich das BAG dies genau angeschaut hatte, entschied es den Fall nun anders. Der Mann sei vor allem durch ein geschicktes Anreizsystem immer weiter in die Auftragsannahme nach dem vom Auftraggeber bestimmten Zuteilungsmodus hineingedrängt worden. Eine Punkteverteilung habe ihn durch möglichst viele Auftragsannahmen im System wachsen lassen. Seine Belohnung sei dadurch attraktiver geworden. Durch diesen Druck sei faktisch eine Abhängigkeit entstanden, die einer Weisungsgebundenheit gleichgelagert sei. Mitentscheidend sei dabei auch, dass die Verästelung in möglichst viele Kleinstaufträge, hier fast dreitausend über ein Jahr, in der Gesamtbetrachtung eine Weisungsbindung erzeuge. Der Auftragnehmer habe praktisch keinerlei Entscheidungsspielräume mehr gehabt, bis auf die einzige Möglichkeit, die Aufträge schlicht ganz abzusagen.

Die Entscheidung dürfte wegweisend für künftige Einordnungen von Crowdworking sein. Auch der Gesetzgeber ist hier auf den Plan gerufen und das von der SPD geleitete Arbeitsminsterium möchte moderne Arbeitsformen in digitalen Vernetzungen stärker regulieren.

Das Merkmal der Weisungsgebundenheit bleibt indes stets zentral. Wenn eine granulare Verteilung täglich mehrerer Microaufträge durch das Crowdsourcing dazu führt, dass der Annehmende diese Aufträge praktisch nur noch nach engen Vorgaben der App bearbeiten kann, dann ist dies ähnlich, als wenn ein Vorgesetzter einem Arbeitnehmer über das Telefon minutiös sagt, was er zu machen hat und ihm dafür eine Gratifikation verspricht. Im Ergebnis lassen sich also bereits heute diese Formen moderner Arbeitsverteilung unter die Vorgaben des Gesetzes bringen.

Unser Praxistipp: Vermeiden Sie als Crowdsourcing Anbieter einen faktischen Druckaufbau gegenüber Crowdworkern durch Anreiz- und Akkordsysteme und gewähren Sie den Mitmachenden ausreichend Freiraum über Ort, Zeit, Dauer und Art der Auftragsausführung.

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