Erforderlichkeit von Freiheitsbeschränkungen bei COVID-19

Verfassungsrecht

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„Verbote liegen ja im Trend!“
Das Gerüst des Gesetzes in Zeiten der Corona Krise

In der heute SHOW vom 20.03.2020 sprach Moderator Oliver Welke vor leeren Rängen Wahres aus, als er im Rahmen eines Berichts schmunzelnd sagte: „Verbote liegen ja im Trend“. Grund genug, dass wir in Zeiten von COVID-19 einmal aufzeigen, wie der Eingriff in die Rechte der Bürger eigentlich gesetzestechnisch funktioniert.

„Der gute Jurist hat den Hang zur Anarchie“ wurde einmal von einem brillanten Rechtswissenschaftler ausgesprochen. Man darf sich fragen, was es mit einem solch tollkühnen Satz eigentlich auf sich hat. Nun, es handelte sich schlicht um einen Hinweis auf das Grundgesetz, gepaart mit der Aufforderung an die Studenten, Normierungen und deren Legitimation, Sinn und Zweck stets zu hinterfragen. Nur wer letzteres gewissenhaft tut, ist letztlich ein guter Jurist.

Artikel 2 Grundgesetz enthält das allgemeine Persönlichkeitsrecht, zu dem auch die allgemeine Handlungsfreiheit gehört. Das Grundrecht lautet:

“(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.”

Obgleich Absatz 1 und 2 unterschiedliche Regelungsgehalte haben und deutlich voneinander abgegrenzt sind, wird Artikel 2 Grundgesetz oft pauschal ohne Differenzierung der Absätze zum Stichwort Persönlichkeitsrecht, Selbstbestimmungsrecht und Freiheitsrecht zitiert. Die einfache und für jeden verständliche Übersetzung von Artikel 2 Grundgesetz lautet im Grunde: „Jeder kann tun und lassen was er will, solange es nicht ausdrücklich verboten ist.“ Zwar kann es in der Gesellschaft auch allgemeine durchgesetzte Sittenvorstellungen ohne ausdrücklichen Gesetzestext geben, die zu einer Untersagung bestimmten Handelns führen können. Allerdings muss auch hier zumindest aufgrund von Generalklauseln, wie zum Beispiel einem „Verstoß gegen die öffentliche Ordnung“ ein gesetzlich normierter Verbotstatbestand greifen. Gelingt dies nicht, bleibt das konkrete Handeln des Einzelnen schlichtweg ohne Sanktion, also faktisch erlaubt.

Artikel 2 Grundgesetz steht mittelbar - durch die Grundzüge des Artikel 1 Grundgesetz verwirklicht - unter dem sogenannten Ewigkeitsschutz des Grundgesetzes. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann daher auch durch noch so große Mehrheiten in der Legislative, also dem Parlament, nicht in seinem Grundgehalt verändert oder abgeschafft werden, Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz.

Aktuell gerät Artikel 2 Grundgesetz angesichts der staatlich verordneten Einschränkungen durch die Corona Pandemie in den Fokus. Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz ermöglicht die Freiheitsbeschränkung aufgrund von Gesetzen. Man nennt dies den Gesetzesvorbehalt. Gäbe es ihn nicht, wären zum Beispiel Freiheitsstrafen bei Verbrechen nicht möglich, wohl aber auch nicht einmal Platzverweise.

Greifen Gesetze in die Freiheitsrechte der Person ein, so muss die Legitimation dieser Gesetze stets in Abwägung mit anderweitigen höherrangigen Gütern gefunden werden. Insbesondere kann auch die Summe von Einzelinteressen, die sich sodann zu einem Gemeinwohl entwickelt, höherrangig sein, als das Entfaltungsinteresse des Einzelnen. Wer zum Beispiel nachts betrunken und laut singend durch eine Wohngegend zieht, der hat kein höherrangiges Interesse an der Entfaltung seiner Persönlichkeit als die Anwohner, denen es in der Mehrzahl um ihre Nachtruhe geht.

Ähnlich verhält es sich derzeit mit der Corona Krise. Auch hier stehen Interessen des Gemeinwohls an der Aufrechterhaltung einer möglichst virusfreien Bevölkerung deutlich im Vordergrund und führen dazu, dass die Interessen an freier Bewegung dahinter zurücktreten und die Freiheitsrechte der Bürger entsprechend eingeschränkt werden.

Als Eingriffstatbestand dient § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz:

“Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. “

Man sieht also, dass die derzeitigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 unter dem Vorbehalt der „Erforderlichkeit“ stehen. Dies ist der entscheidende Grund, warum Landesbehörden - denn nur diese sind für das Ordnungsrecht und den Gesundheitsschutz zuständig und nicht die Bundesregierung – sich derzeit laufend eng mit den Fachinstitutionen zum Infektionsschutz abstimmen. Dadurch wird das möglichst objektivierbare Maß an Erforderlichkeit nahezu tagesaktuell ermittelt.

Die Legitimation des Robert-Kochs-Instituts ist dabei ausdrücklich gesetzlich normiert. § 4 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz lautet:  

“Das Robert Koch-Institut hat im Rahmen dieses Gesetzes die Aufgabe, Konzeptionen zur […] Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zu entwickeln.”

Teil dieser Konzeptionen sind die aktuellen Empfehlungen zu den Abstandsregeln, zu der Reduzierung von Kontakten mit anderen Personen, zur Schließung von Restaurants, Absage von Konzerten, Theater, Kino und so weiter.

In genauen fachkundigen Abwägungen werden insbesondere vor dem Hintergrund der Neuartigkeit des SARS-Cov-2 Virus und seiner offenkundig erhöhten Gefährlichkeit diese Maßnahmen beschlossen.

In dem für eine weite Auslegung offenen und dynamischen Begriff der „Erforderlichkeit“ zeigt sich aber auch, warum viele Entscheidungen nur knapp getroffen werden, umstritten sind und die Reichweite der Maßnahmen bisher in den Bundesländern zu unterschiedlichen Zeiten auch unterschiedlich ausgefallen sind. Erst jetzt bildet sich ein einheitlicher Konsens heraus, je weiter die Verbreitung des Erregers um sich greift.

Wir halten die derzeitigen Maßnahmen für richtig, maßen uns zumindest nicht an, die Qualität und Fachkompetenz des Robert-Koch-Instituts in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Wir freuen uns mit vielen Menschen für die Fachkompetenz der genannten Stellen in der augenblicklichen Lage und sind sehr dankbar. Die kommenden Tage, Wochen und vielleicht Monate werden aber spannend werden zu der Frage, was seitens der Ordnungspolitik noch alles erforderlich werden wird, um die allgemeine Handlungsfreiheit der Bürger aus Artikel 2 Grundgesetz weiter einzuschränken oder aber auch, und dies wünschen wir uns allen, aktuelle Freiheitsbeschränkungen und Ladenschließungen wieder aufzuheben. Was dabei Recht ist und was Unrecht, werden wir auch weiterhin für Sie beobachten und kommentieren.

Bleiben Sie gesund!

Unser Praxistipp: Tun und lassen Sie was Sie wollen, aber nicht jetzt! Kleine Revolutionen gegen den Infektionsschutz wären jetzt fehl am Platz. Befolgen Sie die Ordnungsmaßnahmen und hören Sie auf die Empfehlungen der Behörden. Zeit und Gelegenheit, staatliches Handeln kritisch zu hinterfragen, wird es an anderer Stelle noch genug geben.

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